Hausdurchsuchung in Siegen – Das neue Versammlungsgesetz und seine Konsequenzen

Pressemitteilung der Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe Siegen
anlässlich einer Hausdurchsuchung am Donnerstag den 12. Januar 2023

Am Donnerstag den 12. Januar 2023 durchsuchte die Polizei die Wohnung eines Siegeners. Der
gegen den Mann erhobene Vorwurf? Die Durchführung einer Eilversammlung ohne vorherige
Anmeldung bei der Polizei. Am 30.04.2022 habe sich der Beschuldigte mit weiteren Personen um
den Stand der nationalistischen und rassistischen Partei „Alternative für Deutschland“ versammelt
und Fahnen mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ in die Luft gehalten.
Wir schauen fassungslos auf diese antidemokratische und höchst gewaltsame Praxis von Seiten
Staatsschutz, Polizei und Richter des Amtsgerichts Siegen und beziehen hiermit klar Stellung
dagegen sowie gegen das restriktive und autoritäre Versammlungsgesetz in NRW, welches
unmittelbar zu demokratisieren ist!
Der Ablauf der Hausdurchsuchung
Gegen 6.30 Uhr klingelte es Sturm. „Polizei! Einmal aufmachen!“ Der 29-jährige Siegener öffnete
die Tür, eine Polizistin stellte unmittelbar nach Öffnen ihren Fuß in die Tür. „Hausdurchsuchung!“
Der Siegener bat um Aushändigung des Durchsuchungsbeschlusses sowie um Kontakt zu einer
Anwältin, um die Hausdurchsuchung rechtlich begleiten zu lassen.
Noch während der 29-Jährige sich im Telefongespräch mit seiner Anwältin befand, versuchten die
Polizistinnen weiter in die Wohnung zu gelangen, einer der anwesenden Polizisten drängte sich mit den Worten „Es reicht jetzt!“ an dem Siegener auf der engen Haustreppe vorbei Richtung Wohnung. Das laufende Gespräch mit der Anwältin sowie das Recht auf eine eigene Zeugin verwehrte die Polizei dem jungen Mann, das berechtigte Beharren auf eigene Zeugin und Verwehren des Zutritts zur Wohnung bis zu diesem Zeitpunkt scheint den Polizistinnen genügt zu
haben, um den Mann gewaltsam zu Boden zu bringen, mit Handschellen zu fixieren und im
Hausflur mit Pfefferspray anzugreifen – ohne Vorwarnung und entgegen der deeskalierenden Worte
des jungen Mannes. Der junge Mann wurde gewaltsam und entgegen jeder professionellen und
Verletzungen vermeidenden Praxis an den Handschellen, die Arme auf dem Rücken, nach oben
gezogen und in seine eigene Wohnung geführt. Die Anwältin befand sich während dieser Situation
weiterhin in der Telefonleitung. Das Telefon wurde dem 29-Jährigen aus der Hand gerissen. Ein
Kontakt zu der Anwältin wurde dem Beschuldigten erst nach mehrmaligem Bitten gewährt.
In der Wohnung angelangt durchsuchten die Polizistinnen sofort und ohne Anwesenheit einer unabhängigen Zeugin, auf die jeder ein Recht gehabt hätte, sämtliche Zimmer der Wohnung, den
Keller und einen PKW. Auch jene Zimmer, die nicht dem Beschuldigten gehören und zu deren
Durchsuchung die Beamtinnen kein Recht gehabt hätten. Während der Durchsuchung kommentierten die Polizeibeamtinnen persönliche Gegenstände und Einrichtung herablassend und
despektierlich. Den Betroffenen forderten sie auf, elektronische Endgeräte und Speichermedien mit
dem PIN zu entsperren. Sie versprachen, dass der Prozess so schneller von Statten ginge. Und dies
trotz seines Rechts, welches vorsieht, dass niemand zur Herausgabe des PINs gezwungen werden
kann.
Die Bitte, in Ruhe auf Toilette gehen zu dürfen, wurde dem Mann verweigert: er wurde zunächst
durchsucht und sollte im Anschluss – in seiner eigenen Wohnung – bei offener Tür samt seines
Hundes zwischen den Beinen, der von den Polizistinnen auf Toilette eingeschlossen worden war, seine Notdurft erledigen. Wohlgemerkt in einer Dachgeschosswohnung, Fluchtgefahr hatte zu keinem Zeitpunkt bestanden Körperliche und psychische Gewalt sowie rechtswidriges Verhalten seitens der anwesenden Beamtinnen ziehen sich durch die gesamte Hausdurchsuchung. Um 7.50 Uhr endete die
Hausdurchsuchung, die mitgenommenen Datenträger sowie ein Smartphone und ein Laptop liegen
mitsamt einer gefundenen Antifa-Fahne u.a. auf dem Polizeipräsidium Hagen in der Abteilung des
Staatsschutzes.

Das neue Versammlungsgesetz und seine Konsequenzen
Wir schauen fassungslos auf diese Praxis von Seiten Staatsschutz, Polizei und Richter des
Amtsgerichts Siegen, Herr Witte, der die Hausdurchsuchung des Beschuldigten ohne vorherige
Anhörung als erforderlich und verhältnismäßig einstufte. So heißt es in dem Beschluss:
„Wegen der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts sind die Durchsuchung und die
Beschlagnahme [von Beweismitteln, d. Verf.] auch erforderlich und verhältnismäßig.“
Der Vorwurf einer unangemeldeten Versammlung mit einer Fahne „Gegen Nazis“ vor dem Stand
einer nationalistischen und rassistischen Partei, die laut Gerichtsurteil (03/2022) als Verdachtsfall
im Hinblick auf ihre Verfassungsfeindlichkeit beobachtet werden darf, rechtfertigt eine
Hausdurchsuchung! Unglaublich.
Diese Praxis sehen wir als eine politisch intendierte Folge der Verschärfung des
Versammlungsrechts in Nordrhein-Westfalen, die sich insbesondere gegen Aktivistinnen der Klimagerechtigkeitsbewegung und gegen Antifaschistinnen richtet: Engagement für
Klimagerechtigkeit oder Engagement gegen faschistische Parteien und Organisationen wird
verunmöglicht – Widerspruch, der den Betriebsablauf stört, ist nicht erwünscht
Die Folge muss klar benannt werden: demokratische Betätigung, demokratischer Widerspruch wird
durch das Versammlungsgesetz in NRW kriminalisiert. Jeder die oder der sich auf eine nicht genehme Weise äußert und unbequem macht, hat mit dem harschesten Eingriff in seine persönliche Privat- und Intimsphäre zu rechnen. Einen Schutz hat der Einzelne von Seiten des Staates nicht zu erwarten.

Was ein demokratischer Rechtsstaat zu tun hätte?

Ein demokratischer Rechtsstaat hat den Einzelnen vor unverhältnismäßigen Eingriffen sowie dessen körperliche und geistige Integrität und Würde zu schützen. Der Vorwurf einer friedlichen unangemeldeten Versammlung und das Hochhalten einer Fahne gegen rassistische und in Teilen faschistische Parteien scheint diesen „Rechtsstaat“, Richter, Staatsschutz und Polizei derart zu verunsichern, dass sie ein solch gewaltsames Eindringen in private Räumlichkeiten für legitim erachten. Ein Ergebnis, das von den konservativen das Gesetz verabschiedenden Parteien CDU und FDP genau so gewollt ist. Gegen diese antidemokratische Politik stellen wir uns mit aller Entschiedenheit. Entscheidender Richter und ausführende Beamtinnen haben sich dafür zu verantworten!